Wurde durch das Behandlungsteam alles für ein gutes Behandlungsergebnis Notwendige veranlasst? Oder haben ein schicksalhafter Verlauf, ein hohes Lebensalter oder viele schwere Begleiterkrankungen zu Komplikationen und letztlich zum Tod geführt?
Behandelnde schauen zurück
Bei den in den Asklepios Kliniken durchgeführten Selbstreviews handelt es sich um eine nach einem Todesfall durchgeführten Betrachtung des Behandlungsverlaufes. Durchgeführt wird das Selbstreview durch den hauptbehandelnden Arzt gemeinsam mit weiteren an der Behandlung beteiligten Experten anderer Fachrichtungen.
Betrachtet werden alle Behandlungsverläufe, bei denen der Patient während seines Krankenhausaufenthaltes verstorben ist. Auch die Behandlung von schwerstkranken Patienten, deren Sterben als natürlicher Tod zu werten ist, wird in der Rückschau noch einmal kritisch beleuchtet.
Systematisch werden anhand eines Fragebogens die Behandlungsverläufe analysiert: Wurde der Patient bei seiner Aufnahme umfassend zu seiner Erkrankung und seiner Vorgeschichte befragt (Anamnese)? Lagen alle für die Indikation erforderlichen Ergebnisse, beispielsweise aus dem Labor oder der Radiologie, vor? Ist eine umfassende Aufklärung des Patienten über die Behandlungsmöglichkeiten und bestehende Alternativen erfolgt? Wurde der Verlauf der Behandlung während des Krankenhausaufenthaltes kritisch hinterfragt und an die Erkenntnisse und Entwicklungen angepasst? Lässt sich aus der Akte erkennen, dass Anordnungen zeitnah umgesetzt wurden? Wurden bei der Planung der Behandlung die aktuellen Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften berücksichtigt? Hat die Pflege das Sturzrisiko erfasst und entsprechende Maßnahmen eingeleitet? Hier geht es darum, die Behandlung in der Nachschau noch einmal kritisch zu begutachten und die Frage zu beantworten, ob es Verbesserungsmöglichkeiten gab, beispielsweise bei der Weitergabe von Informationen im Behandlungsteam oder bei der Zusammenarbeit mit Fachkollegen einer anderen medizinischen Fachrichtung.
Ganz konkrete Ideen, die anschließend in die Praxis umgesetzt werden können, sind hier gefragt.
Eine Auswertung dieser Selbstreviews ermöglicht es, systematische Schwächen bei der Planung und Durchführung der Behandlung oder auch bei der Kommunikation und bei der Dokumentation zu erkennen.
Gemeinsam Lernen: Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen
Im Mittelpunkt einer Morbiditäts- und Mortalitätskonferenz (M&M) steht die Betrachtung einzelner komplikationsbehafteter Fälle. Experten bringen hierbei ihre fachspezifischen Kenntnisse ein und analysieren detailliert die einzelnen Behandlungsschritte sowie den klinischen Verlauf. Gegenstand der Erörterung können beispielsweise ein nicht rechtzeitiges Erkennen einer lebensbedrohlichen Situation, eine ungenügende interdisziplinäre Abstimmung oder eine falsche präoperative Risikoeinschätzung sein.
Ein Patient, nennen wir ihn Marc Müller, im Jahr 1969 geboren, ist seit langem in der Klinik bekannt. Es ist seit dem Jahr 1980 Diabetiker und aufgrund dieser Erkrankung erblindet. Herr Müller wird mit dem Rettungswagen in die Klinik eingeliefert. Er ist am Vorabend gestürzt.
Die Ärzte in der Notaufnahme diagnostizieren einen hüftgelenknahen Oberschenkelhalsbruch. Bei der Untersuchung wird festgestellt, dass der Patient seit mehreren Wochen eine offene Wunde am rechten Knie hat. Wegen dieser Wunde hat Herr Müller bislang keinen Arzt aufgesucht. Eine Behandlung der Kniewunde, die bereits entzündet ist, lehnt er ab. Über die damit einhergehenden Gefahren, wie den Verlust des rechten Unterschenkels bei weiter fortschreitender Entzündung, wird er aufgeklärt.
Mit einer Operation am Oberschenkel zur Behebung seines Oberschenkelbruchs ist Herr Müller einverstanden. Innerhalb von 24 Stunden wird Herrn Müller ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt. Anschließend wird er auf die chirurgische Station verlegt. Er erweist sich während der Betreuung als uneinsichtig. Vorgeschlagene medizinische Maßnahmen nimmt er nicht immer an.
Während seines Aufenthaltes auf dieser Station entgleist sein Blutzuckerspiegel. Seine Nierenwerte verschlechtern sich und Herr Müller wird auf die Intensivstation verlegt. Hier wird er neu eingestellt und kann nach drei Tagen zurückverlegt werden. Nur wenige Tage später muss er erneut auf die Intensivstation, da der Blutzuckerspiegel erneut entgleist ist. Unerwartet verstirbt der Patient während seines Aufenthaltes auf der Intensivstation. Eine durchgeführte Obduktion führt zu dem Ergebnis, dass Herr Müller an einer Lungenembolie verstorben ist.
Eine M&M-Konferenz beginnt mit einer Darstellung des gesamten Verlaufs einer Behandlung. Alle relevanten Inhalte, von der Erstuntersuchung bei der Aufnahme über die durchgeführten Behandlungsschritte bis zur Entlassung, werden geschildert. Die lückenlose und wahrheitsgemäße Falldarstellung ist eine wesentliche Bedingung für den Erfolg einer M&M-Konferenz. Nicht Schuldzuweisungen stehen im Mittelpunkt, sondern das Erkennen von Schwachstellen und Fehleinschätzungen.
Alle Teilnehmer können mithilfe von Fragen ihr Bild vom Behandlungsverlauf vervollständigen. Es erfolgt eine gemeinsame Diskussion des Verlaufs im Auditorium.
Eingebunden sind Mediziner aller Hierarchiestufen – vom Chefarzt bis zum Assistenzarzt. Ein umfassendes Bild von der Behandlung ergibt sich, wenn weitere Mitglieder der Behandlungsteams an der Konferenz teilnehmen, wie im dargestellten Beispiel die Pflegekräfte der chirurgischen Station.
Was den unerwünschten Verlauf begünstigt hat und was besser hätte laufen können, wird in einer M&M-Konferenz gemeinsam anhand verschiedener Fragen geklärt (Beispiele):
Die Teilnehmer der M&M-Konferenz kommen zu der Einschätzung, dass die Lungenembolie nicht zu verhindern war. Alle Werte waren bis kurz vor dem plötzlichen Tod im normalen Bereich.
Das Team der chirurgischen Abteilung stellt sich selbstkritisch die Frage, wie es bei einem Patienten mit einer bekannten Diabeteserkrankung während des Aufenthaltes zweimal zu einer Entgleisung des Blutzuckerspiegels kommen konnte. Hätte bei Herrn Müller, der ein nicht immer einsichtiger Patient war, eine Betreuung veranlasst werden müssen?
Was lernen wir aus diesem Fall und was können wir besser machen? Außer der persönlichen Wissenserweiterung der Teilnehmer dient die M&M-Konferenz dazu, die Behandlung fortlaufend zu verbessern und Risiken zu minimieren. Als Ergebnis sollen konkrete Verbesserungsvorschläge entwickelt werden. Gemeinsam ist eine Verabredung in Bezug darauf zu treffen, wer die Verbesserungsmaßnahmen umsetzen soll und bis wann dies geschehen sein soll.
Medical-Board-Audit: Visite durch einen Fachexperten von außen
Ein Medical-Board-Audit ist ein Verfahren, in dem eine Analyse einer Krankenhausabteilung durchgeführt wird. Inhalt dieser Analyse sind die medizinisch-pflegerischen Versorgungsprozesse der Abteilung. Analysiert werden außerdem zufällig ausgewählten Patientenakten.
Auslöser für ein Medical-Board-Audit sind die Ergebnisse der externen stationären Qualitätssicherung (esQS) oder der German Inpatient Quality Indicators (G-IQI) – Verweis auf Haupttext. Nach definierten Kriterien werden die Ergebnisse analysiert. Die Expertengremien der Asklepios Kliniken, die Medical Boards, legen fest, wo ein entsprechendes Audit stattfinden soll.
Durchgeführt werden Medical-Board-Audits durch Experten der gleichen Fachrichtung. Sie werden in einer speziellen Schulung auf ihre Rolle als Auditor vorbereitet. Denn es geht nicht um persönliche Einschätzungen, sondern um eine systematische Analyse und eine strukturierte Bewertung. Es gilt das Prinzip der Gegenseitigkeit: Voneinander lernen.
Die gemeinsame Analyse der abteilungsinternen Abläufe und der Schnittstellen zu anderen Fachabteilungen des Krankenhauses soll insbesondere dazu beitragen, die Behandlungsqualität weiter zu steigern, Risiken zu erkennen sowie Schäden zu reduzieren. Kritisch wird hinterfragt, ob die Behandlung dem aktuellsten Stand der Wissenschaft entspricht und in Anlehnung an Leitlinien erfolgt („Das Richtige tun”).
Damit endet das Verfahren jedoch nicht. Die Ergebnisse der Medical-Board-Audits werden systematisch ausgewertet. Sind Themen erkennbar, bei denen es in mehreren Asklepios Kliniken Handlungsbedarf gibt? Welche Best-Practice-Ansätze lassen sich identifizieren bzw. können von anderen Asklepios Kliniken übernommen werden?
Die Aufgabe, die gewonnenen Erkenntnisse konzernweit zur Verfügung zu stellen, übernehmen bei Asklepios die Expertengruppen, die Medical Boards (Beispiel „Intensivmedizin, kurzgefasst“). Auf fachspezifischen Chefärztetreffen werden die Erkenntnisse in die einzelnen Asklepios Kliniken getragen. Wo sinnvoll, werden Konzernstandards entwickelt, die bei der praktischen Umsetzung vor Ort helfen (Standards als Handlungshilfen im Alltag).